Geschichte

Gildeninformationen

Von Dr. H. Grochtmann, in verkürzter Form zusammengefaßt


Was soll die Zahl 1397 besagen? Ist etwa in dem Jahr bereits die Dattelner Schützengilde gegründet worden? Die meisten Schützenvereine sind viel jüngeren Datums. Daß es um 1400 in dem damals ganz und gar ländlichen Kirchspiel Datteln eine Gilde und zwar eine Schützengilde gegeben hat, möchte man daher sehr bezweifeln.


Die Schützengilden des Mittelalters dienten vor allem einem wehrhaften, daneben noch einem religiösen, sozialen und geselligen Zweck. Die Menschen dieser Zeit erfüllte und leitete ein alles umfassender Gemeinschaftssinn. Dieser Gemeinschaftssinn des Mittelalters, der getragen und bestimmt wurde von einer allgemeinen Weltanschauung, war so lebendig, daß sich die Menschen in den Gilden und Zünften zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet fühlten. Dabei waren Kirche und politische Gemeinde, Religiöses und Weltliches nicht so voneinander getrennt wie heute, sondern bildeten eine harmonische Einheit.


Das alles hatten Schützengilden mit den anderen Gilden und Zünften gemeinsam. Ihre besondere und eigentliche Aufgabe war, die Gemeinschaft, die auf dem Lande durch das Dorf, die Bauernschaft oder das Kirchspiel gebildet wurde, gegen Feinde zu schützen. Und deren gab es viele: Diebe, Räuber, Gesinde, Kriegsvolk, von denen bei den damaligen Fehden der adligen Herren das ungeschützte Land viel mehr heimgesucht und verwüstet wurde als die Städte.


Wie gefahrvoll und traurig die damaligen Zeiten waren, zeigt eine Urkunde im Vestischen Archiv Recklinghausen aus dem Jahre 1378: Über Heinrich von Oer, seinen Bruder Berthold und deren Frauen wird vom Archidiakon der Kirchenbann ausgesprochen, weil sie wie Einbrecher und Räuber Güter und Höfe gebrandschatzt hatten. Heidenreichs Sohn, der wilde Heinrich von Oer, trieb es nicht besser. Auch er machte die Umgebung unsicher. Jahrelang führten er und sein Landesherr, der Erzbischof von Köln, einen erbitterten Krieg um den Besitz der im Kirchspiel Datteln gelegenen Horneburg. Um sich gegen solche Gewalttaten zu schützen, schlossen sich die Landbewohner zu Schützengilden zusammen. Das tat man auch in Datteln, der größten Pfarrei des Ostvestes.


Neben dem Wehrgedanken erfüllten die Schützengilden aus dem Geist des Mittelalters heraus auch einen sozialen und geselligen Zweck. Sie übten Wohltätigkeit und gegenseitige Hilfe und begingen jedes Jahr ein Schützenfest. Der Hauptteil dieses Festes waren das Vogelschießen und die Erhebung des besten Schützen zum König. Ursprünglich wurde auf einen lebendigen Vogel geschossen, eine Taube, eine Gans oder einen Papagei. Das lebende Ziel ist später durch den heutigen Schützenvogel ersetzt worden.


Das Schützenfest fand damals im Mai um Pfingsten statt. Die ursprüngliche Schießwaffe war aber nicht die Büchse, sondern der Pfeilbogen. Seine Schnellkraft wurde bereits gegen Ende des Altertums durch die Erfindung der Armbrust bedeutend erhöht. Die Armbrust blieb Schußwaffe fast das ganze Mittelalter hindurch. Die ersten Büchsen kamen um 1400 auf und fanden erst allmählich allgemeine Anwendung.


Schutzheiliger der meisten Gilden war Sebastian. Aber auch der heilige Ritter Georg wurde als Schutzpatron der Schützengilden erwählt. Auf dem Lande bevorzugte man dagegen den Kirchen- und Pfarrpatron. Und so wurde in Datteln der Hl. Amandus Schutzheiliger der Schützengilde.


Unsere Schützengilde wurde im Jahre 1397 gegründet. Darüber gibt es zwar keine Urkunde, auch keine andere schriftliche Nachricht, sondern nur mündliche Überlieferung, die ihren Niederschlag in dem heutigen Namen der Dattelner Schützengilde gefunden hat. Daß man aber diesen Überlieferungen Glauben schenken darf, zeigt eine Urkunde des Pfarrarchivs St. Amandus. Aus ihr geht hervor, daß die Amandusgilde um das Jahr 1440 bereits ein Verein oder eine Bruderschaft von Bedeutung und Vermögen gewesen sein muß.


Das Schriftstück ist datiert vom 6.4.1440. Der Inhalt ist folgender: Vor dem Richter zu Recklinghausen, Roser von Westrem, verkaufen Hynrich Burmester und Locke, “sin echte husvrouwen”, dem Gildemeister der St. Amandus-Gilde zu Datteln, Gerdt Scheper, und seinen Nachfolgern bzw. der Gilde selbst, die Hälfte eines Grundstücks, das Hakenbredde genannt wird, und einen halben Garten, den zuvor Hinrich Schabede in Benutzung hatte. Als Zeugen werden genannt: “Bernd Smet de alde, Bernd sin son, Johan Speckhove, Hans Schedinck und Hermann Fredemann”.


Wenn die Gilde um 1400 bereits Grundstücke kaufte, so wird sie nicht mehr ein ganz junger Verein gewesen sein. Und so dürfte die Überlieferung, die 1397 als Gründungsjahr der Dattelner Schützengilde angibt, stimmen. Diese Urkunde vom Jahr 1440 war nicht das einzige Schriftstück der St. Amandusgilde im Dattelner Pfarrarchiv: in einem vom Pfarrer Bürich (1666-1680) angefertigten Verzeichnis der Schriftstücke des Pfarrarchivs sind auch Akten der “Sti. Amandi Gilde” angeben. Diese Akten der Amandusgilde sind verloren gegangen. Das bedeutet einen unersetzlichen Verlust: aus ihnen würden wir sicher manches über Geist und Tätigkeit unserer Schützengilde erfahren. Gerade in den Jahrzehnten, ja dem ganzen Jahrhundert vor Pfarrer Bürichs Aufzeichnungen waren die Schützengilden als wehrhafte Notgemeinschaften in unserer Gegend wieder zu besonderer Bedeutung gelangt: Die Kriege und mit ihnen die Plünderungen und Drangsalierungen durch die Kriegsvölker und die ihnen nachziehenden Marodeure wollten kein Ende nehmen. Der letzte dieser Kriege, unter denen das vestische Land so sehr zu leiden hatte, war der Dreißigjährige. In dieser furchtbaren Zeit haben sich die Landesherren bemüht, das Land so gut es ging, durch bestimmte Aufgebote und durch die Schützengilden zu schützen, besonders gegen die Marodeure, die meist viel schlimmer hausten als das eigentliche Kriegsvolk. Aus dieser Zeit stammt das älteste Stück der Dattelner Kleinode, ein aus Silber gearbeiteter Schützenvogel (1629).


Land und Leute gegen äußere und innere Feinde zu schützen, das war im Mittelalter die Hauptaufgabe der Schützengilde. Heute wird diese von Polizei und Militär geleistet. Geblieben ist für die Schützenvereine nur noch das Übungsschießen, das nur einem friedlichen Zweck, dem reinen Sport dient, und das Schützenfest mit dem Schießen auf den Vogel und der Erhebung des besten Schützen zum König. Hier haben wir ein Brauchtum, das, wie vorhin kurz dargelegt worden, sogar über die Schützengilden des Mittelalters weiter zurückreicht und sich verliert in eine Zeit, die durch das Licht der Geschichte nicht mehr erhellt wird. Solche uralten Bräuche weiter zu pflegen, ist doch noch eine schöne Aufgabe der heutigen Schützenvereine. Es darf nicht vergessen werden, daß die Schützengilden des Mittelalters besonders die Kameradschaft und nachbarliche Hilfe pflegten, daß sie Bruderschaften im ursprünglichen Sinne des Wortes gewesen sind. So muß die “Bürgeschützengilde 1397 Dattel e.V.” stolz darauf sein, daß sie ihren Ursprung ins Mittelalter zurückführen und sich als eine der ältesten Schützengilden Westfalens betrachten darf. So darf auch nicht vergessen werden, das alte, gute Schützenbrauchtum zu pflegen und alle Entartungen davon fernzuhalten.